Ein Findling schreibt Wedeler Geschichte
1932, als die Arbeitersporthalle (heutige Sporthalle an der Bergstraße) in Eigeninitiative fertig gestellt wurde, fand man bei Erdarbeiten auf dem Heiligengeistfeld (heute: das Gebiet zwischen Goethestraße und Theodor – Johannsen – Straße) einen großen Findling.
Mitglieder der „Eisernen Front“ transportierten den Stein zur Arbeitersporthalle. Die „Eiserne Front“, 1931 gegründet, war ein Zusammenschluss des „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“, des „Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes“ (ADGB), des „Allgemeinen freien Angestelltenbundes“ (AfA-Bund), der SPD und des „Arbeiter Turn- und Sportbundes“ (ATSB) mit dem Ziel, die Weimarer Republik und die Demokratie gegen die Nationalsozialisten (NSDAP) zu verteidigen. Vor der Arbeitersporthalle hat Hans Lissow, ein Bildhauer, den Findling bearbeitet und das Bildnis von Friedrich Ebert, dem Sozialdemokraten und ersten Reichspräsidenten der Weimarer Republik, in den Stein gehauen.
Die Inschrift lautete:
„UNSEREM GROSSEN TOTEN 1871 – 1925“.
Der Ebertstein, ein Dorn in den Augen der Wedeler NSDAP Mitglieder, musste nachts von Wedeler Genossen – unter Ihnen war Heinrich Steckmeister – vor den Übergriffen der SA („Sturmabteilung“ paramilitärische Kampforganisation der Nationalsozialisten) bewacht werden.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten1933 wurden die „Arbeitersporthalle“ und der „Ebertstein“ beschlagnahmt und im Rahmen des Objektschutzes von der SA bewacht. Als am 9. Juni 1933 die SA-Wache offiziell abgezogen wurde, beschädigten einige SA Leute das Ebertbildnis stark und zerstörten darüber hinaus die in der Sporthalle befindlichen Gipsabdrücke des Ebertkopfes.
Diese Aktion rief bei der Wedeler Bevölkerung tiefe Empörung hervor. Der Sozialdemokrat Rinne drohte, das beschädigte Ebertbildnis zu fotografieren und in alle Welt zu verschicken.
Die nachfolgend beschriebenen Maßnahmen sind in verschiedenen Verwaltungsakten nachzulesen; der „Ebertstein“ beschäftigte nicht nur die Wedeler Nationalisten sondern auch die Nationalsozialisten in den Landes- und Kreisbehörden.
Nun musste der Ebertstein im „Interesse des Reiches“ Tag und Nacht bewacht werden. Der Stein wurde mit einer Plane umhüllt; die Idee einer Sprengung des Steines wurde verworfen – weil nicht möglich – da der Stein zu dicht an der beschlagnahmten Turnhalle stand. Es wurde weiter vorgeschlagen, den Findling zertrümmern zu lassen – gut ein Jahr später steht der Stein immer noch vor der Turnhalle und beschäftigt die Wedeler „NS-Führung“. Dort hat man nämlich festgestellt, dass Findlinge unter Naturschutz stehen, was eine Zerstörung des Steines ausschloss.
Der Vorschlag, den Ebertstein in einen Ehrenhain am heutigen Parnass einzufügen, wurde verworfen, da der Stein durch den Ebertkopf „entehrt“ sei. Ebenso kam die Idee der Umarbeitung des Ebertkopfes in einen Soldatenkopf nicht in Frage. Auch eine Versenkung des Ebertsteines in der Elbe wurde vorgeschlagen und wieder verworfen.
Zu guter letzt wurde im Herbst 1935 vor dem Ebertstein ein großes Loch ausgehoben und der Ebertstein hineingestürzt. Ende 1945 musste der „Stein des Anstoßes“ von einigen ehemaligen SA-Mitgliedern, die ihn beschädigt und/oder vergraben hatten, wieder ausgegraben werden.
Der Bildhauer und Sohn von Hans Lissow, Egon Lissow bearbeitete den Stein neu und am 14.Dezember 1947 findet der Friedrich-Ebert-Stein einen neuen standesgemäßen Platz auf dem Wedeler Rathausvorplatz.
Die heutige Inschrift lautet:
„FRIEDRICH EBERT ERSTER REICHSPRÄSIDENT 1919 – 1925“
Auf einer Tafel vor dem Stein ist folgendes zu lesen:
„DIESER GEDENKSTEIN WURDE IM JAHRE 1932 IM
AUFTRAGE DER WEDELER ARBEITERSCHAFT
VON HANS LISSOW + GESCHAFFEN
IM JAHRE 1933 VON SA LEUTEN
BESCHÄDIGT UND VERSENKT WURDE ER
IM JAHRE 1947 WIEDERERRICHTET
UND VON EGON LISSOW NEUGESTALTET
DER STEIN MAHNT
VÖLKERVERSTÄNDIGUNG
SOZIALE GERECHTIGKEIT
UND FREIHEIT
SIND DIE ZIELE DER DEMOKRATIE FÜR
DIE ABERTAUSENDE IN DER UNTERDRÜCKUNG
FASCHISTISCHER WILLKÜR STARBEN“